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NON-STOP

02.06.2005
springerin Heft 2/2005
Ronald Düker

Zur Ausstellung NON-STOP. Ein Projekt zur Ambivalenz von Krieg und Frieden, im Kunstverein Wolfsburg vom 17. Mai bis 25. September 2005.

Sechzig Jahre nach Kriegsende nehmen Künstler in einer Ausstellung im Kunstverein Wolfsburg Stellung. Zur Realität und Fiktion unserer kriegerischen Gegenwart und Zukunft.

Kaum eine andere deutsche Stadt ist so sehr ein Resultat des Zweiten Weltkriegs wie das niedersächsische Wolfsburg. Das betrifft die Konzeption, den Bau, die Zerstörung und schließlich den triumphalen Wiederaufstieg dieses Ortes, der zunächst «Stadt des KdF-Wagens» hieß und 1945 von den britischen Alliierten auf seinen jetzigen Namen getauft wurde. Ideologie und Realität standen dabei vor allem anfangs in einem höchst unversöhnlichen Verhältnis zueinander.
Zunächst, so ließ die Propaganda der Nazis verlauten, sollte hier der KdF-Wagen, der nach dem Krieg eine weltumspannende Karriere als VW-Käfer antrat, gebaut werden. Stattdessen standen die von Ferdinand Porsche befehligten Werke am Mittellandkanal aber dann nahezu völlig im Zeichen der Kriegsproduktion: Anstelle des zivilen Dreisitzers im Dienst der Volksfreude liefen hier massenweise Kübelwagen und Bestandteile der V1-Rakete vom Band. Nach dem Krieg war von der Stadt wenig übrig geblieben. VW aber existierte weiter und trat von Wolfsburg aus einen unternehmerischen Siegeszug an, der noch ins Zeitalter des Postindustrialismus hinübergerettet werden konnte.
Wissenschaft, Kultur, Konsum
Heute leistet sich die Firma mit der «Autostadt» ein aufwendig gestaltetes Gelände zur Vermarktung von Volkswagen und seiner Tochterfirmen, während die Stadt mit einer Reihe von Einrichtungen aufwarten kann, auf denen nicht unbedingt VW draufsteht, auch wenn das Geld der Firma drinsteckt. So ein an der Größe der Stadt gemessenes riesiges neues Kunstmuseum, in dem hochkarätige Ausstellungen – derzeit Cecil Beaton und James Rosenquist – zu sehen sind, während sich schon in den sechziger Jahren namhafte Architekten wie Hans Scharoun und Alvar Aalto im Stadtbild verewigt haben. Und jeder, der das Bahnhofsgebäude von Wolfsburg verlässt, kann einen Blick auf das gigantische Wissenschaftszentrum «Phaeno» der Stararchitektin Zaha Hadid werfen, das sich dieser Tage noch im Bau befindet.
Wissenschaft, Kultur und Konsum scheinen hier in einen Themenpark eingelaufen zu sein, dessen wirtschaftliche Grundlage sich ganz offensichtlich dem allgegenwärtigen Hauptsponsor verdankt. Wem es um eine unabhängige Reflexion von Geschichte und die Freiheit der Kunst geht – also einen Ausbruch aus der gebrochenen und zugleich kontinuierlichen Geschichte des Ortes –, der muss einen für Wolfsburger Verhältnisse eher unscheinbaren Ort aufsuchen. Im Gebäude des alten Schlosses, einem Gebilde, das der so jungen Stadtgeschichte also schon historisch vorgelagert ist, sitzt der Kunstverein, dessen Direktor Justin Hoffmann aus anderen als den ortsüblichen Töpfen das Geld für Ausstellungen und Veranstaltungen beziehen muss.
Skulpturen aus Waffenschrott
Die Idee, genau hier – und aus Anlass des sechzigsten Jahrestags des Kriegsendes – ein Projekt zur «Ambivalenz von Krieg und Frieden» zu veranstalten, überzeugt aus diesen Gründen auf den ersten Blick. Die von einem Film- und Vortragsprogramm flankierte Ausstellung «Non Stop» soll, so sagte Hoffmann bei der Eröffnung am vergangenen Donnerstag, dem Umstand Rechnung tragen, dass Wolfsburg eben in erster Linie einmal ein Rüstungsstandort gewesen ist. Zugleich soll sie sich aber von diesem Ausgangspunkt lösen und ganz grundsätzlich mit Kriegen, ihren politischen Motivationen und Befehlsstrukturen auseinandersetzen. Mit der Frage, wie junge Männer zu soldatischen Maschinen gemacht werden, und den virtuellen Erscheinungsweisen, durch die Kriege und Gewalt auch in einem medialen Latenzzustand ständig präsent sind.
So weit also das konzeptuelle Feld abgesteckt ist, so unterschiedlich sind auch die Arbeiten ausgefallen, die noch bis zum 25. September im Wolfsburger Schloss zu sehen sind: Video- und Medieninstallationen, Skulptur, Malerei- und Collage sowie ein historisches Zeitungsarchiv zum Ende des Zweiten Weltkriegs. Der Münchner Künstler Christian Schnurer stellt seine hier vertretenen Skulpturen, die aus aufgefundenen Waffen aus dem Zweiten Weltkrieg und anderem Industrieschrott zusammengeschweißt sind, in einen historischen Kontext, der doch zugleich auf aktuelle Kriegs- und Machtrealitäten verweist.
Atomare Idylle
Seine Arbeit «Neue Welt» präsentiert ein schwarzes Torpedo in einer Transportkiste aus Sperrholz unter einer ausgerollten Landkarte für den Erdkundeunterricht des gerade noch großdeutschen Reiches. Sie datiert aus dem Jahr 1944, zeigt den nord- und südamerikanischen Kontinent und ist mit «Die Neue Welt» überschrieben. Als hätten deutsche Pädagogen sich insgeheim schon vor Kriegsende der für sie bitteren Wahrheit gestellt, dass die USA nicht nur den U-Boot-Krieg gegen Japan gewonnen, sondern längst zum Hegemon einer neuen Weltordnung geworden waren.

Die Wienerin Ellen Semen ist unter anderem mit einer Serie kleinformatiger Collagen vertreten, in denen Krieg und Tötung keineswegs als hässliche Vorgänge erscheinen. Camoufliert von floralen Ornamenten, wirken Semens Miniatursoldaten und Waffen wenig gefährlich, obwohl sie doch offenbar keineswegs ihrer Bestimmung enthoben sind. Das Bild «Wenn eh die Bombe» zeigt, wie eine maskierte Kriegerin in einem schwarz glänzenden Gewand ihre futuristisch anmutenden Schusswaffen auf eine Figur abfeuert, die mit ihren fliegenden Rockschößen am ehesten der Dada-Bildsprache der zwanziger Jahre abgeschaut zu sein scheint.
Beide Figuren agieren in einem Feld entlaubter Bäume, denn am Horizont findet ein Spektakel statt, das in seiner ästhetisch-moralischen Ambivalenz gleichsam zum Sinnbild für das vergangene Jahrhundert geworden ist: Der Blitz einer detonierenden Atombombe sorgt für einen künstlichen Sonnenuntergang.
Iran in Kalifornien
Die trügerische Schönheit einer grandiosen Landschaft bestimmt auch die Arbeit der in München lebenden Medienkünstlerin Tamiko Thiel. Mit einem Joystick kann sich der Betrachter durch einen auf eine Leinwand projizierten künstlichen Raum bewegen. Wie in einem Ego-Shooter-Spiel lassen sich Wege beschreiten, Türen öffnen und Räume betreten. Die Szenerie der Arbeit ist eine Hochebene in der kalifornischen Gebirgswüste Manzanar, in deren Hintergrund ein schneebedecktes Bergpanorama prangt.
Ein erhabenes alpines Bild, das gleichwohl auf der Welt nicht ohne Beispiel ist. Im Iran finden sich ähnliche Landschaften, und dieser Wiedererkennungseffekt strukturiert auch den politischen Hintergrund von Thiels Arbeit, die sie gemeinsam mit der iranisch-amerikanischen Schriftstellerin Zara Houshmand entwickelt hat.
Paradiesgärten
Die Simulation mit dem Titel «Beyond Manzanar» ist vordergründig in einem riesigen kalifornischen Internierungslager lokalisiert, in dem während des Zweiten Weltkriegs über 10.000 US-Japaner interniert waren, während im Pazifik der Seekrieg gegen die kaiserliche Armee von Hirohito tobte. Obwohl auch in amerikanischen Regierungskreisen damals kaum jemand ernstlich davon ausging, dass amerikanische Staatsbürger japanischer Abstammung eine Gefährdung der inneren Sicherheit darstellten, schlug sich in dieser Internierungsaktion der ganze rassistisch motivierte und politisch instrumentalisierbare Hass nieder, mit dem das Land seit dem traumatisch erlebten Angriff auf Pearl Harbor überspült worden war.
Tamiko Thiel, die ihre Arbeit im Jahr 2000, zu einem Zeitpunkt also, da von Guantanamo noch nicht die Rede war, konzipierte, schlägt vom anti-asiatischen Rassismus der vierziger Jahre eine Brücke zu jenen Anfeindungen, denen sich amerikanische Bürger iranischer Herkunft während der Geiselkrise in den Jahren 1979 bis 1980 ausgesetzt sahen. Via Joystick kann sich der Betrachter durch die Gefangenenbaracken bewegen, in denen schemenhaft die Fotografien internierter Amerikaner mit japanischer Abstammung zu erkennen sind, aber auch durch japanische und iranische Paradiesgärten.
Türen schlagen von allein
In Japanisch, Farsi und englischer Sprache verfasste Gedichte von Lagerinsassen drängen sich ins Bild, während der Betrachter sich an anderer Stelle durch einen Blätterwald aus Immigrationsdokumenten bewegen kann. In Innenräumen, die an Museen und Wohnzimmer gleichermaßen erinnern, hängen Fotografien mit japanisch-amerikanischen und iranisch-amerikanischen Familienszenen: Gruppenfotos von Hochzeiten und anderen Feiern, Schnappschüsse des friedlichen Zusammenlebens von Bürgern, denen allen zumindest ihr amerikanischer Pass gemeinsam ist.
Nur zu Beginn vermeint der interaktive Betrachter von «Beyond Mazamar» mit dem Joystick auch die Steuerungsgewalt über seine Bewegungen im virtuellen Raum zu besitzen. Denn betritt er einen Raum, schlagen Türen hinter ihm zu und er wird wie die Internierten auch gezwungen, sich in bestimmten Räumen aufzuhalten und vorgezeichnete Wege einzuschlagen.
Es gibt einen einzigen Ausweg aus Manzanar: der führt in die Luft und geradewegs in ein kleines Kriegsspiel, wo dem Ego-Shooter auf einmal alles aus der Hand genommen ist. Völlig steuerungslos trudelt er durch die Luft, so sehr der Ausstellungsbesucher auch an seinem Joystick zerren mag. Wer einmal einen Krieg anfängt, sagt Tamiko Thiel, gibt, was er sich auch vorgestellt und was er auch simuliert haben mag, jede Steuerungsmöglichkeit aus der Hand.
Vielleicht ist dies die Idee, die die in Wolfsburg versammelten Arbeiten am ehesten eint: Der Krieg als letzthin unkontrollierbare und kontingente Zerstörungsgewalt, die sich gerade da jeder Kontrolle entzieht, wo sie bereits zu Ende durchdacht, geplant und simuliert worden zu sein scheint. Und auch darauf weist Justin Hoffmann hin: Wie die Ereignisse am Golf, in Tschetschenien oder Sri Lanka zeigen, kann sich ein Krieg auch unabhängig von einem offiziell befundenen Kriegsende seinen Namen trotzdem verdienen. Eindeutig identifizierbare Agenten und klare Fronten gibt es dann längst nicht mehr - von Gut und Böse einmal ganz zu schweigen. Gerade der Krieg des dritten Jahrtausends kennt lauter Ego-Shooter ohne Joystick.